LAW Aktuell
Geschrieben von Ingo GoldLAW Aktuell 06.08.2021
Fremdbestimmung mithilfe der App: Arbeitnehmerstatus eines Crowdworkers 13/21 ZR
Sounds:
1. Weisungsgebundenheit i.S.d. § 611a I BGB kann in verschiedenen Erscheinungsformen bestehen. Auch tatsächliche Zwänge durch eine vom Auftraggeber geschaffene Organisationsstruktur können geeignet sein, den Beschäftigten zu dem gewünschten Verhalten zu veranlassen, ohne dass dazu konkrete Weisungen ausgesprochen werden müssen.
2. Die kontinuierliche Durchführung einer Vielzahl von
Kleinstaufträgen („Mikrojobs") durch Nutzer einer Online-Plattform
(„Crowdworker") auf der Grundlage einer mit dem Betreiber („Crowdsourcer")
getroffenen Rahmenvereinbarung kann im Rahmen der nach § 611a I S. 5 BGB
gebotenen Gesamtbetrachtung zur Annahme eines Arbeitsverhältnisses führen, wenn
der Crowdworker zur persönlichen Leistungserbringung verpflichtet ist, die
geschuldete Tätigkeit ihrer Eigenart nach einfach gelagert und ihre
Durchführungen inhaltlich vorgegeben sind sowie die Auftragsvergabe und die
konkrete Nutzung der Online-Plattform im Sinne eines Fremdbestimmens durch den
Crowdsourcer gelenkt wird. Eine Universität kann sich als Körperschaft des öffentlichen Rechts
ebenso wenig auf die Grundsätze des eingerichteten und ausgeübten
Gewerbebetriebs berufen wie eine Behörde. Bei manchen Mitarbeitern ist man unter Umständen einfach nur froh, wenn
man sie los ist und buchstäblich nichts mehr von ihnen „sieht und hört". Eine
solche Hoffnung dürfte auch die Leitung einer in Niedersachsen ansässigen
Universität gehabt haben, als sie noch während der Probearbeitszeit einem
Mitarbeiter kündigte. Dieser wandte sich nicht nur mittels arbeitsgerichtlicher
Schritte gegen seine Kündigung, sondern unternahm ab Sommer 2020 eine Vielzahl
von Anrufen mit anonymer Nummer, die ihm aber bei Zustandekommen eines
Gesprächs dann auch zugeordnet werden konnten. Unter dem massiven Druck der Anrufe, die im Justiziariat, im Rektorat und
beim Kanzler eingingen und zu regelrechten Störungen des dortigen
Behördenablaufs geführt haben (sollen), beantragte die Universitätsleitung beim
Landgericht Bochum im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes eine entsprechende
Unterlassungsverfügung (§§ 935, 940 ZPO) mit dem Ziel, es dem Beklagten zu
untersagen, mehrmals täglich immer dieselben Mitarbeiter anzurufen. Damit hatte
die Universität allerdings wenig Erfolg. Und zwar auch in der nächsten Instanz
vor dem Oberlandesgericht Hamm. Nach der vorliegenden Pressemitteilung waren die Richter beider Instanzen
zwar noch bereit, den eidesstattlichen Versicherungen dahingehend zu glauben,
dass mehrere Anrufe des Antragsgegners ohne sachlichen Grund geeignet sein
könnten, den Behördenablauf zu erschweren oder sogar zu stören. Allerdings
fehle es an einem schutzwürdigen Bedürfnis der Antragstellerin für den Erlass
einer solchen Unterlassungsverfügung, da der geltend gemachte Eingriff in den
eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, eines der anerkannten
Rahmenrechte des § 823 I BGB, nicht vorliege und folglich auch keine
diesbezügliche Unterlassung gem. § 1004 I S. 2 BGB begehrt werden könne. Vielmehr sei die Universität als öffentlich-rechtliche Körperschaft
zugleich auch eine Behörde, die aufgrund ihres „digitalen Hausrechts" zu dessen
Durchsetzung schlichtweg einen entsprechenden Verwaltungsakt – und damit einen
öffentlich-rechtlichen Vollstreckungstitel – erlassen könnte, um sich vor den
querulatorischen Anrufen ihres ehemaligen Mitarbeiters zu schützen. Praktische Konsequenz eines solchen Vorgehens: Für die hiergegen
erhebbare Anfechtungsklage (§ 42 I Alt. 1 VwGO) wäre dann der Rechtsweg zu den
Verwaltungsgerichten (§ 40 I 1 VwGO) eröffnet. Seite 51.7 von 138 - Artikel 507 bis 517 von insgesamt 1376 Artikel in dieser Rubrik. zurück42.743.744.745.746.747.748.749.750.751.752.753.754.755.756.757.758.759.760.7vorLAW Aktuell 05.08.2021
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